Schule und Bildung

„Es ist eine Kunst, Kindern beizubringen, sich selbst helfen zu können.“

Birgit Steigert / Adina Schütze · 09.07.2021

Jan Donhauser

Jan Donhauser

Damit Kinder und Jugendliche nach dem langen Corona-Lockdown entstandene Lernrückstände aufholen können, hat der Bund ein Aktionsprogramm beschlossen. Was heißt das nun genau und was tut Dresden, um Schüler zu fördern?
Kind+Kegel sprach mit Bildungsbürgermeister Jan Donhauser über selbständiges Lernen, Förderprogramme und digitale Bildung.

Was beinhaltet das Aktionsprogramm des Bundes und was bedeutet es für Dresden? 

Das neue Aktionsprogramm umfasst zwei Milliarden Euro für die gesamte Bundesrepublik für die Kinder- und Jugendarbeit. Bund und Länder haben sich über die Verteilung der Mittel geeinigt. Als Kommune sind unsere Erwartungen eher enttäuscht worden, nun müssen wir sehen, das Beste daraus zu machen. 

Hier in Dresden gab es bereits 2020 ein ähnliches Programm in Höhe von 100.000 Euro. Diese Förderung wurde in den Sommerferien zum Beispiel gezielt eingesetzt, um Kindern Schwimmunterricht zu ermöglichen. Etwa 100 Kinder, die in der zweiten Klasse nicht schwimmen lernen konnten, haben dadurch auf der Freiberger Straße schwimmen gelernt. Also ein messbares Ergebnis. Auch im Bereich der kulturellen Bildung gab es für Kinder und Jugendliche letzten Sommer, vor allem in Prohlis und Gorbitz viele Angebote. Auch in diesem Jahr hat uns der Stadtrat 250.000 Euro zur Verfügung gestellt, die wir über die Sommerferien mit verschiedensten Angeboten umsetzen. 

Was ist mit dem Stichwort kulturelle Bildung für Kinder gemeint? 

Das sind Angebote außerhalb des Lehrplans, die kulturelles Wissen und kulturelle Techniken, vor allem durch Mitmach-Angebote vermitteln. Dafür haben wir die Bibliotheken, die Jugendkunstschule, das tjg. Theater Junge Generation und die Staatsoperette ins Boot geholt. All diese Angebote waren kostenfrei. 

Für 2021 stehen nun sogar 250.000 Euro zur Verfügung. So können wir zusätzlich noch Freiflächen, wie Schulhöfe aber auch andere Freianlagen für Aktivitäten in den Sommerferien öffnen. Dies ist schon allein durch die notwendigen Öffnungen von sanitären Anlagen mit hohem organisatorischem Aufwand verbunden. Außerdem erhalten die Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe weitere Mittel, um noch mehr inhaltliche Angebote für Kinder- und Jugendliche zu entwickeln. 

Wie erfahren denn die Eltern von den Angeboten, außer über Kind+Kegel? 

Zum einen über den Ferienpass – in gedruckter Form oder digital auf der Internetseite der Landeshauptstadt. Außerdem schreiben wir alle Schulen an, sie sollen die Eltern über die Angebote informieren.

Mit dem Slogan „Wir fördern Nachhilfe“ wirbt die Stadt aktuell für das seit 2016 laufende Bildungspaket*. Wie stehen Sie dazu? 

Ich muss voranstellen, dass ich den Begriff „Nachhilfe“ in diesem Moment für problematisch halte. Er ist einfach negativ besetzt, denn niemand gibt gerne zu, dass er Nachhilfe benötigt. Besser wären hier Begriffe wie Lernförderung oder Förderangebote zu verwenden. Zweitens – und das ist der zentrale Punkt – sehe ich den individuellen Förderbedarf in der Schule und dieser darf nicht an außerschulische Institute abgegeben werden. Ein ordentlich differenzierter Unterricht in der Schule sollte auch den lernschwächeren Schülern das Lernen ermöglichen und ohne außerschulisches Lernen dieser Kinder zum Lernerfolg führen.
Darauf habe ich in meiner aktiven Zeit als Schulleiter immer Wert gelegt. In Deutschland gibt es aber eine gewisse Tradition, diese Angebote zu nutzen – das ist die Besonderheit. In Summe hilft es eben doch, die Lernziele für mehr Kinder zu erreichen.  

Durch den Digitalpakt versuchen Bund und Länder das Lernen durch Digitalisierung zu erleichtern. Ist „digitales Lernen und Lehren“ Ihrer Meinung nach ausreichend in den Lehrplänen berücksichtigt?

Die Lehrpläne in Dresden sind nicht meine Zuständigkeit. Allerdings sage ich, dass es nicht an den Lehrplänen liegt, sondern auf den einzelnen Lehrer ankommt. Hier brauchen wir Geduld für den Wandel. Man kann das nicht mit der Brechstange ändern. Es geht darum, die Lehrer zum Mitmachen zu motivieren. 

Kritisch sehe ich auch die Finanzierung der digitalen Endgeräte. Der frühzeitige Erwerb der digitalen Kompetenzen ist sicherlich eine Notwendigkeit des Lernens und es werden viele Mittel für die Anschaffung z. B. der Laptops in die Hand genommen. Aber die Gefahr besteht, dass die Geräte am Ende ungenutzt bleiben, wenn in den Familien nicht die Bereitschaft und Kompetenz dafür gleichsam aufgebaut werden. 

Sie meinen, die Medienkompetenz muss auch bei den Eltern aufgebaut werden? 

Hier muss man ganz klar zwischen Medienkompetenz und technischer Kompetenz unterscheiden. Die technische Kompetenz ist bei den Familien vorhanden, Handy und digitale Medien werden genutzt. Gleichwohl ist die Medienkompetenz doch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Ich sehe die Erwachsenenbildung als einen großen Bestandteil für lebenslanges Lernen. Und hier muss man sich die Frage stellen, wie diese Leute erreicht werden können. 

Stichwort „Selbstständiges Lernen“. Die Pandemie hat Schülern, Eltern und Lehrern ja Einiges abverlangt. 

Seit über 100 Jahren existiert die Erkenntnis, dass Kinder frühzeitig in die Lage versetzt werden sollen, das Lernen zu lernen. In der Praxis wird das aber noch viel zu wenig umgesetzt. Das häusliche Lernen hat sich sicher in der Pandemie deutlich verbessert. Trotzdem wird beim Stellen der Hausaufgaben stillschweigend bereits in der Grundschule vorausgesetzt, dass Eltern hier unterstützen. Damit sind die Kinder, bei denen dies nicht möglich ist, automatisch benachteiligt.
Wegen dieser Ungleichbehandlung stelle ich die Notwendigkeit von Hausaufgaben insgesamt durchaus in Frage. Es ist eine Kunst, Kindern beizubringen, sich selbst helfen zu können. Kinder, die das bereits konnten, hatten es in der Pandemie leichter als Kinder, die nach festen Vorgaben gewohnt sind, zu lernen.
Die Lehrer müssen das für sich erkennen und umsetzen. Lehrer werden dadurch auch entlastet, wenn die Kinder selbständig lernen können. Ich glaube, das Thema wird uns noch viele Jahre begleiten. Hier braucht es weiterhin viele Fortbildungsangebote für Lehrer.

Sind Schulnoten für diese selbständige Art zu Lernen noch sinnvoll? 

Noten brauchen wir. Alle Versuche mit verbalen Einschätzungen haben sich als ein ungeheurer Aufwand für die Lehrer herausgestellt. Die Vergleichbarkeit muss hergestellt werden. Und die Kinder vergleichen sich sowieso untereinander. Ich bin dafür, frühzeitig mit Benotungen anzufangen. Am Rande bemerkt: Ich bin nicht der Meinung, dass alle Kinder Abitur machen müssen. Der Weg zum individuellen Ziel jedes Kindes ist entscheidend. Das müssen die Lehrer hinbekommen, die Stärken und Begabungen zu erkennen. Ich lege großen Wert darauf, den Kindern frühzeitig zu vermitteln, dass alle gleich wertvoll sind und nicht an einzelnen Leistungen oder Ergebnissen ihr Wert gemessen wird. Das ist die hohe Kunst. Trotzdem darf man nicht aus den Augen verlieren, dass Lehrer auch unter Druck stehen, die Kinder zum Erfolg zu führen und den erforderlichen Lernstoff zu vermitteln, beispielsweise bei den zentralen Abschlussprüfungen. Ich habe diesen Druck als Sportlehrer Anfang der 90ziger, als es noch Sportprüfungen gab, selbst erlebt. Die Jungen mussten dann auch die Leistungen, wie zum Beispiel beim ungeliebten Gerätturnen, bringen. 

Welche Konzepte verfolgen sie als Bildungsbürgermeister noch? 

Unter anderem im Kita- und Grundschulbereich soll die Bildungsstrategie Dresdens unabhängig von Corona weiterentwickelt werden.
Unter dem Begriff „Aufwachsen in sozialer Verantwortung“ sollen Kitas und Grundschulen in Problemlagen weiter unterstützt werden. Sogenannte benachteiligte Stadtteile, auch wenn ich die Formulierung nicht mag, haben hier Priorität. Dort sollen die Kitas und Schulen mit personeller Unterstützung, wie mehr Personal, Schulsozialarbeit, in allen Schularten gestärkt werden. Auch das Arbeiten mit Kindern mit Migrationshintergrund, wie mit Kulturdolmetschern, ist dabei zu nennen. 

Das bedeutet, Sie bauen Personal auf? 

Nein, im Rathaus leider nicht. Wir können aber die Träger der freien Jugendhilfe stärken. Im Bereich der Schulsekretariate sind jedoch einige Stellen geplant, die durch Umschichtung erbrachten werden. In meinem Geschäftsbereich wird der Hauptteil des Budgets für Investitionen in die Bildungsinfrastruktur verplant. Ich bin hier zu Recht der „teuerste Bürgermeister“ und muss täglich mit Millionen hantieren. Das Gesamtvolumen des Geschäftsbereichs ist schon sehr hoch und dennoch reicht es für manche nötige Projekte nicht. Die nächste Schule ist geplant in Prohlis, mit über 70 Millionen Euro Kosten.


Zur Person: Jan Donhauser, Jahrgang 1969, ist seit 2020 zuständig für den Geschäftsbereich Bildung und Jugend der Landeshauptstadt Dresden. Der gebürtige Görlitzer und studierte Lehrer war 13 Jahre als Lehrer bzw. Schulleiter in Dresden tätig. Jan Donhauser ist Vater von zwei Kindern.
 

* Das Bildungspaket unterstützt bedürftige Familien mit folgenden Leistungen: 

  • Ausflüge / Klassenfahrten 
  • Schulbedarf 
  • Schülerbeförderung 
  • Lernförderung  
  • Mittagsverpflegung an Schulhorten in den Schulferien 
  • soziale und kulturelle Teilhabe

Anspruch auf diese Leistungen hat, wer Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld nach dem SGB II, Wohngeld nach dem WoGG bei gleichzeitigem Anspruch auf Kindergeld, Kinderzuschlag nach dem BKGG bei gleichzeitigem Anspruch auf Kindergeld, Hilfe zum Lebensunterhalt (3. Kapitel) oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (4. Kapitel) nach dem SGB XII oder Leistungen nach § 2 oder § 3 AsylbLG bezieht. 

Die Leistungen sind beim Jobcenter bzw. beim Sozialamt einzeln zu beantragen. 

Kategorien: Dresden NEWS , Schule und Bildung

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