Ratgeber

Wenn plötzlich jemand fehlt

Nora Stankewitz · 07.09.2018

Pixabay.com/MadalinCalita

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Der Sonnenstrahl e.V. Dresden ist einer von fast 100 Elternvereinen in Deutschland, die sich um krebskranke Kinder und deren Familien kümmern. Ulrike Grundmann ist Sozialpädagogin und hier stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin des Psychosozialen Dienstes. Mit uns hat sie darüber gesprochen, wie man mit Kindern trauern kann.

Ulrike Grundmann

Eltern tun sich oft schwer, mit Kindern über den Tod zu sprechen. Wie kann man so eine schwierige Aufgabe angehen?

Die Eltern sollten sich immer in das Kind hineinversetzen und sein Alter berücksichtigen. Kinder haben viel Phantasie und denken sehr bildlich. Deshalb kann man sich als Eltern gut überlegen, mit welchen Bildern man seinen Kindern Tod erklärt. Es gibt schöne Bilderbücher, die dabei helfen können. So müssen Eltern auch nicht über ihre eigene Trauer sprechen, sondern können den Zugang über Geschichten finden. Das Wichtigste ist aber, mit den Kindern überhaupt zu sprechen und die Fragen der Kinder zu beantworten und nicht zu schockiert zu sein. Denn Kinder fragen dann Sachen, wie "Was passiert, wenn die Würmer in den Sarg kriechen?" Auf so etwas sollte man sich vorbereiten und eine ehrliche und offene Antwort geben.

Wie können sich konfessionslose Familien dem Thema nähern?

Auch wenn Eltern nicht an Gott glauben oder in die Kirche gehen, gibt es das Bild von Engeln oder im Himmel sein meistens trotzdem. Oder sie sind naturwissenschaftlicher und haben das Bild, dass das Leben in der Erde vergeht und daraus neues entstehen kann. Da findet jede Familie ihren eigenen Weg.

Gibt es ein absolutes No-Go? Was sollte man Kindern nicht sagen?

No-Go ist nur, nicht mit den Kindern zu sprechen, sie sich selbst zu überlassen. Beziehungsweise es ihnen zu überlassen, sich eine Erklärung auszudenken. Wir plädieren immer dafür, die Kinder nicht zu schützen, sondern ihnen die Wahrheit zu sagen. Zum Beispiel wenn die Großeltern krank sind. Dann können sich die Kinder darauf einstellen, dass sie sterben werden. Kinder sollten auch mit zu Beerdigungen und Trauerfeiern gehen. Viele Eltern haben Angst, das Kind zu sehr zu belasten oder zu traumatisieren. Aber für Kinder ist es viel komischer, wenn jemand nicht mehr da ist, einfach so. Wenn sie es miterleben können, dass auch Erwachsene traurig sind und weinen, können sie besser damit umgehen.

Dass die Oma gestorben ist, mag noch sagbar sein. Was, wenn es um das Kind selbst geht?

Wenn Kinder selbst an Krebs erkrankt sind, setzten sie sich intensiv damit auseinander und reifen im Prozess der Krankheit. Während sie in der Klinik behandelt werden, bekommen sie oft schon mit, dass ein anderes Kind verstirbt. Das Thema ist für sie dann nie eine Überraschung. Und wenn es dann einmal so sein sollte, dass Ärzte nichts mehr machen können, dann hat die Behandlung oft schon lange gedauert, es gab viele Rückfälle. Kinder wissen dann, dass die Behandlung nicht hilft, ihnen geht es schlecht. Viele Kinder erahnen, was passieren wird. Für die erkrankten Kinder ist es oft eine Erleichterung, wenn ihr Umfeld offen darüber spricht. Denn es gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Ängste auszudrücken. Kinder neigen dazu, ihre Eltern zu schützen und trauen sich nicht, dass Thema selbst
anzusprechen. Es ist ja das Schlimmste, was Eltern passieren kann, ihrem Kind sagen zu müssen, dass es sterben wird. Aber wenn sie diese Hürde genommen haben, erleben diFamilien nochmal eine sehr schöne aktive
Zeit miteinander. Oftmals bleibt noch Zeit für schöne Erlebnisse. Die Familien können auch gemeinsam besprechen, wie die Beerdigung ablaufen soll. Kinder haben nicht selten Vorstellungen, zum Beispiel, was es zu Essen geben soll. Das macht es nach dem Tod auch für die Eltern tröstlicher. Sich das in der Theorie vorzustellen, ist schwer. Aber sowohl Eltern als auch Kinder wachsen in solch drastischen Situationen über sich hinaus.

Wie läuft die Trauerarbeit ab, wenn ein Kind tatsächlich verstorben ist?

Wir haben im Verein zum einen die Beratungsstelle, die von unseren Therapeuten im Haus betreut wird. Sie helfen Eltern und Kinder individuell durch die Trauer zu kommen. Zu schauen, wie sie sich neu orientieren können nach so einem schlimmen Verlust von Kind oder Geschwisterkind. Was ich aber auch ganz wichtig finde, sind die Selbsthilfegruppen. Hier tun sich Familien zusammen, denen das Gleiche widerfahren ist. Unsere Aufgabe ist es, die Rahmenbedingung dafür zu schaffen, Veranstaltungen zu machen, das Kennenlernen zu erleichtern. Denn es ist natürlich schwierig, zusammen zu kommen und zu sagen: Hallo, mein Kind ist gestorben. Aber wenn das gelingt, tauschen sich die Familien aus und unterstützen sich gegenseitig. Das tut ihnen so gut, zu sehen, dass sie nicht alleine sind mit ihrer Trauer. Im heimischen Umfeld, sind die Familien oft die Exoten. Denn, dass ein Kind an Krebs verstirbt, passiert fast gar nicht.* Und für Eltern, deren Kind vielleicht erst vor einem halben Jahr verstorben ist, kann es auch sehr tröstlich sein, Eltern zu treffen, die nach zehn Jahren nach dem Tod ihres Kindes, zwar einen neuen Weg gehen,
dass sie aber noch immer trauern dürfen. Das nimmt Eltern den Druck, schnellstmöglich wieder voll im Leben stehen zu müssen.

Wie genau helfen Sie Kindern, die trauern?

In der therapeutischen Einzelarbeit geht es darum, wie Kinder die Erinnerungen an das Geschwisterkind erhalten können ohne selbst stehen zu bleiben. Und es ist auch wichtig, gemeinsam herauszufinden, wie das Kind seine Rolle in der Familie wiederfinden kann. Denn das Familiengefüge ist ja nach dem Tod eines Geschwisterkindes total durcheinander Außerdem haben wir unsere Camps, in denen wir erlebnispädagogisch arbeiten. Dort fahren wir manchmal auch nur mit verwaisten Geschwisterkindern hin. Wir schaffen dort in der Natur den Raum, in dem die Kinder über ihre Erfahrungen und Gefühle sprechen können. Unser Ziel ist es auch, den Selbstwert der Kinder zu stärken. Sie sollen sich selbst kennenlernen, wissen, wer sie sind, was sie brauchen und wie sie sich von Angehörigen Unterstützung holen können. Und das funktioniert sehr gut draußen in der Natur, mit Bewegung und gemeinsam mit anderen.

Ihre Arbeit ist sicher eher belastend: Wie geht es Ihnen und den Kollegen damit?

Das wirkt von außen oft härter. Natürlich ist es für uns schlimm, wenn ein Kind verstirbt. Manchmal begleiten wir Familien ja jahrelang. Natürlich trauern wir dann auch. Wir gehen auch auf die Beerdigung und weinen, wenn uns danach ist. Unser Job ist aber so viel mehr als das. Wir erleben die Familien in diesen krassen Ausnahmesituationen, unterstützen sie und dürfen sehen, wie sie das schaffen und wie sie sich ja auch wieder aufstellen, sich beruflich vielleicht neu orientieren. Wir erleben, wie sie aus dieser schlimmsten Situation das Beste machen und weiterleben können, irgendwann auch wieder zufrieden sind. Das bereichert uns so sehr, dass wir gar nicht sagen würden, dass die Arbeit so belastend ist. Und: Der Großteil der Kinder wird ja geheilt und auch das erleben wir mit.

Sie gehen auch in Kitas und Schulen der erkrankten Kinder. Was machen Sie da?

Wir bieten allen Familien an, Schul- oder Kita-Aufklärung zu machen. Weil wir einfach gemerkt haben, dass Lehrer damit überfordert sind. Sie sind selbst oftmals so betroffen, dass ein Schüler an Krebs erkrankt ist, dass es ihnen schwerfällt, mit den Mitschülern zu sprechen. Bei den meisten Kindern schaffen wir es, zeitnah nach der Diagnosestellung in die Schule zu gehen. Wir erklären den Mitschülern die Erkrankung und die Behandlung, die für das kranke Kind ansteht. Wenn das Kind mit der Therapie fertig ist oder auch verstorben ist, gehen wir noch einmal in die Klasse und bereiten das gemeinsam mit den Klassenkameraden auf. Mit einer Klasse, die es sehr getroffen hat, dass ihre Mitschülerin verstorben ist, habe ich einmal als Abschluss Luftballons gefüllt und bemalt und wir haben sie dann als Ritual und Abschied, steigen lassen.

Literaturempfehlungen:

Tita Kern, Nicole Rinder, Florian Rauch: "Wie Kinder trauern – Ein Buch zum Verstehen und Begleiten", Kösel-Verlag 2017, ISBN: 978-3-466-37174-7

Anja Kieffer, Katja Pagel: "Opas Reise zu den Sternen", Gütersloher Verlagshaus, 2014, ISBN-13: 9783579073064

Beide Bücher können bei Kind + Kegel geliehen werden!

 

Tags: Sonnenstrahl e.V. , Trauer bei Kindern , Trauerarbeit Dresden , Trauerarbeit mit Kindern , Wie Kinder trauern

Kategorien: Kaleidoskop , Ratgeber

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