Ratgeber

Nachgefragt bei … MARC ANGERMANN

Marc Angermann, Adina Schütze · 31.01.2019

Marc Angermann, 36, ist geboren und aufgewachsen in Dresden, auch Medizin hat er in seiner Heimatstadt studiert. Es folgten ein Osteopathiestudium in Wien und Weiterbildungen in Amerika. Heute betreibt der Hobbylandwirt und Vater von 2 Töchtern, gemeinsam mit seiner Frau Maria, das Zentrum für Kinder- und Jugendosteopathie in Kamenz.

Was waren Ihre Beweggründe, nach einem schulmedizinischen Studium und der Arbeit als praktischer Arzt, sich der Osteopathie zuzuwenden?

Das Interesse für die Osteopathie und manuelle Medizin kam schon im Studium. Damals hatte ich mit starken Rückenbeschwerden zu kämpfen und fand beim Osteopathen Hilfe. Mit Abschluss meines Medizinstudiums habe ich sofort mit dem Zusatzstudium der Osteopathie begonnen und die Weiterbildungszeit in der Anästhesie und Orthopädie absolviert. Mit meiner großen Tochter hat dann ein besonderes Kind zu mir gefunden. Ihre speziellen Bedürfnisse zogen einen hohen Therapieaufwand nach sich. Ihretwegen habe ich mich mit Therapiemöglichkeiten für neurologische Entwicklungsstörungen beschäftigt. So bin ich auf die AnatBanielMethode (ABM) gestoßen. Die Kombination aus Osteopathie und ABM, die ich inzwischen vornehmlich in meiner Praxis anwende, ist einzigartig.

Welche Dienstleitungen bieten Sie aktuell an?

Osteopathie für Kinder und Jugendliche, ABM Neuromovement für Kinder mit besonderem Therapiebedarf (Hirnschädigungen, geneterungtische Syndrome, Entwicklungsstörungen, Autismus). Die AnatBanielMethode (ABM) ist eine Entwicklung aus dem Feldenkraiskonzept speziell für Menschen mit Erkrankungen oder Einschränkungen des Nervensystems.

Wie funktioniert und was bewirkt eigentlich Osteopathie? Wem hilft sie, wem eher nicht?

Die Osteopathie ist eine Heilkunde, um Bewegungsstörungen im Körper aufzuspüren und zu beheben. Das können Bewegungen der Struktur sein (Knochen, Muskeln, Bänder, Sehnen, Faszien, Narben), Bewegungen der Inneren Organe (viszerale Osteopathie), oder Bewegungen der Flüssigkeiten (Lymphe, craniale Osteopathie). Entstanden ist die Osteopathie zu einer Zeit, in der Infektionserkrankungen das vorherrschende Problem in der Medizin waren und es noch keine Antibiotika gab. Der Begründer Andrew Taylor Still, selbst Arzt, behandelte damals Kinder mit Typhus, Ruhr und ähnlichem erfolgreich mit seinen Techniken, die vor allem auf die Verbesserung des Lymphflusses und der Durchblutung abzielten. Heute ist der Bereich der Infektionserkrankungen durch die Fortschritte in der Schulmedizin kaum noch im Fokus der Osteopathie. Es geht jetzt vor allem um Störungen im Bewegungsapparat, Schmerzen, Schieflagen bei Babys, Stillprobleme, Entwicklungsstörungen, Narbenprobleme, aber auch Beschwerden mit unklarer Ursache, z.B. schulmedizinisch abgeklärte Bauchbeschwerden, Herzprobleme, Tinnitus, Schwindel, Migräne, Kiefergelenkprobleme u.s.w. Letztendlich hilft die Osteopathie dem Körper sich besser selbst zu helfen. Wie in allen medizinischen Bereichen gilt: Es heilt nie der Arzt, es heilt sich immer der Patient. Wir können nur den Weg ebnen. Eher eingeschränkt hilft Osteopathie bei psychischen Beschwerden. Auch bei älteren Patienten ist der dauerhafte Erfolg einer osteopathischen Behandlung schwer einzuschätzen, da die Gewebequalität (degenerative Veränderungen) viele Techniken von vornherein ausschließt, bzw. die Beschwerdemuster so lange bestehen, dass sie nicht mehr vollständig zu lösen sind.

Gibt es Risiken?

Korrekt angewandt gibt es keine wesentlichen Risiken. Da man vor allem das autonome (nicht willkürliche) Nervensystem anspricht, kann es zu einer Erstreaktion mit Verschlechgeneterung der Beschwerden kommen. Auch Kreislaufreaktionen sind möglich, sowie starke emotionale Reaktionen.

Warum sind osteopathische Behandlungsmethoden so umstritten?

Ich finde nicht, dass die Osteopathie umstritten ist. Gerade in den USA ist sie fester Bestandteil der medizinischen Versorgung. Hier erlebe ich es eher so, dass Mediziner nicht ausreichend über die Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen der Osteopathie informiert sind. So wird zum Beispiel zum Chirotherapeuten verwiesen und zum Osteopathen nicht. Die Chiropraktik ist aber selbst aus der Osteopathie hervorgegangen. Ein tatsächliches Problem ist das unterschiedliche Ausbildungsniveau der Osteopathen.

Gerade bei jungen Eltern scheint Osteopathie ein großes Thema zu sein. Was kann Osteopathie bei Babys und Kindern leisten?

Der größte Teil der Kinder, die ich sehe, sind Babys. Typische Probleme sind zum Beispiel Stillprobleme, Verdauungsbeschwerden, Unruhe und Schreien, sowie Lageasymmetrien. All diese Probleme sind häufig Folge der eingeengten Lage im Mutterleib. Die Stressbelastung der werdenden Mütter ist stark gestiegen und gleichzeitig bewegen wir uns immer weniger. Die Babys gehen dann häufig immer wieder in bestimmte Schonhaltungen, wodurch die oben genannten Beschwerden entstehen können. Im schlimmsten Fall können die Babys gar keine normale Haltung mehr einnehmen und schauen dann z.B. nur auf eine Seite oder überstrecken sich permanent. Bei älteren Kindern kommen dann noch andere Beschwerden dazu, wie Entwicklungsverzögerungen, fehlende Krabbelphase, Infekthäufungen, Schlafprobleme, Hyperaktivität, Konzentrationsschwäche, Kopfschmerzen, Skoliosen und Haltungsproblem. Natürlich ist eine Vorstellung auch bei akuten Beschwerden, z.B. nach schulmedizinisch abgeklärten Verletzungen, sinnvoll.

Wer findet den Weg in ihre Praxis?

Die meisten Patienten kommen direkt auf Zuweisung und Empfehlung von Kinderärzten und Hebammen. Manche Eltern wollen prophylaktisch eine osteopathische Untersuchung nach der Geburt, andere Eltern stellen ihre Kinder erst vor, wenn alle anderen Bemühungen versagt haben. Durch das ABM finden auch zunehmend Eltern von behinderten Kindern ihren Weg zu mir. Ich behandle auch schwangere Patientinnen, um das Becken optimal auf die Geburt vorzubereiten, oder bei akuten Beschwerden in der Schwangerschaft.

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