Kaleidoskop

Was sich lange wehrt...

Kathrin Gennies (kg) · 28.09.2017

Ja klar, Kinder sind toll und Familie ist was Wunderbares. Aber es gibt auch Momente, in denen wir ganz anders empfinden. Weil's anstrengend ist und nervt. Häufig trauen wir uns aber nicht zuzugeben, dass wir nicht immer glücklich mit Kind und Kegel sind. Wir finden: Auch das muss gesagt werden. Und zwar deutlich.

Was sich lange wehrt ... wird endlich gut. Als ich damals mit drei Jahren meinen kleinen Bruder bekam, war die Freude groß. Auch wenn er aussah, wie Mamas Onkel Karl: „Keine Haare, keine Zähne, schrumpelig und dürr!“ Mir war das völlig egal. Hey: Ein Baby! Für mich!. Allerdings nahm die anfängliche Euphorie mit seinem Größerwerden exponentiell ab, denn das kleine Monster entwickelte schnell einen ganzen Pool an kreativen Einfällen, seine große Schwester schon in jungen Jahren an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Dass unsere Eltern irgendwann auf die Idee kamen, uns in getrennte Kinderzimmer zu verfrachten, löste das Problem nur teilweise. Gegen Wände lässt es sich vortrefflich klopfen, besonders gut klappt das mitten in der Nacht. Wenn die Wände aus Regips sind, dann ist nervtötendes Geblubber zu verschiedenen sinnlosen Themen ein probates Mittel, um irrelevanten Content zu produzieren und die Weißglut am Laufen zu halten. Wenn unsere Eltern im Rahmen der sozialen Kontaktpflege auf irgendwelchen Feierlichkeiten weilten, verstanden wir uns zunächst meist prächtig.

Der kleine Bro war schon damals ein Meister in der Küche und verstand es schon mit neun Jahren wie kein anderer, selbst schnöde Fix-Mischungen aus der Tüte mit wenigen Handgriffen in eine kulinarische Offenbarung zu verwandeln. Dazu gab es die Gummibärenbande oder anderen Unfug, den die Glotze halt so hergab. Problem: Wenn die mediale Unterhaltung vorbei war, stellte sich bei ihm stets die Langeweile ein und es wurde Zeit, einen Streit vom Zaun zu brechen. In dieser Zeit entwickelte ich die relativ erfolgreiche Strategie, mich mitsamt meiner verstimmten Blockflöte auf dem Klo einzuschließen und die einzigen zwei Weihnachtslieder, die ich darauf spielen konnte, in Dauerschleife darzubieten. Das führte zu einem Loch in der Badezimmertür und einem eigenartigen, auf einer sehr seltsamen Geschichte basierenden Bündnis unter Geschwistern, den Ursprung des Schadens betreffend. Unsere Gemeinsamkeiten beschränkten sich auf den genetischen Background.

Rückblicken muss ich neidlos anerkennen, dass unsere -übrigens bei der gleichen pädagogischen Fachkraft- im Kunstunterricht eingereichten Machwerke erstaunlich Übereinstimmungen in Form und Haptik aufwiesen. Beide haben wir schiefe Bäume für unser Schlüsselbrett ausgesägt und beide haben wir nicht den geforderten, schlanken Trinkbecher aus Ton, sondern ein plumpes, bauchiges Ding produziert, das sich mit viel Wohlwollen als Behältnis für Stifte, bestenfalls jedoch als zentrales Utensil für einen Polterabend eignet. Was mich heute mit Liebe erfüllt: Beide Schlüsselbretter hängen im Flur meiner Eltern und gleichen sich auf's Haar. Unsere Trinkbecher sind beide durch einen „dummen Zufall“ zu Bruch gegangen.

Mein Bruder und ich, wir mögen uns inzwischen sehr. Wir hatten keinen ganz guten Start und haben viele Jahre hinter uns, die eher schwierig verliefen. Fast 30 Jahre hat es gedauert, bis sich zwischen mir und meinem Bruder sowas wie Geschwisterliebe manifestiert hat. Wir telefonieren ab und an, kurz und herzlich: Mehr geht nicht. Ich bekomme regelmäßig Eier von seinen sehr glücklichen Hühnern und Honig von Bienen, auf die er eigentlich allergisch ist, aber darauf pfeift er. Wir haben die Liebe zu Tieren gemein und zum Kochen. Manchmal dauert es, bis die Gemeinsamkeiten so offensichtlich werden, dass wir sie nicht mehr ignorieren können. Ich kann heute sagen: Ja! Ich liebe meinen Bruder und ich bin stolz auf ihn. Und ich freu mich schon jetzt, ihm das beim nächsten gemeinsamen Sushi Essen endlich auch mal selbst zu sagen.

 

Kategorien: Kaleidoskop

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