Kaleidoskop

Früh übt sich

Kathrin Gennies · 04.09.2017

Dass ohne Musik so ziemlich alles irgendwie doof ist, darüber sind wir uns wohl alle einig. Und dass schon unsere Kleinsten begeistert mitwippen, wenn groovy Sounds aus den Boxen ballern, ist auch nichts wirklich Neues. Dass eben diese aber getreu dem Motto „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ aber am besten schon im Alter von wenigen Tagen den Grundstein für ihre musikalische Ausnahmekarriere legen sollten, ist ein Trend, der sich zum Glück nur langsam entwickelt. In der Krippe werden schließlich noch früh genug die derzeit angesagten Smashhits angestimmt und ein paar Jährchen dürfen ruhig mal vergehen, bevor das Kind erstmalig für längere Zeit mit einem Instrument konfrontiert werden kann. Bei mir war das damals ein Glockenspiel, das war super, für jede neue gelernte Tonfolge gab es einen Sticker mit Tiermotiv, den ich mit Stolz in ein dafür vorgesehenes Heft klebte. Angespornt von diesen Erfolgserlebnissen beschloss meine Mutter, dass es nun an der Zeit sei, mir auch noch die Flötentöne beizubringen. Folgerichtig fand ich dann auch schon bald eine formschöne Blockflöte unterm mit reichlich Lametta behangenen Tannebaum vor, die uns allen ein für alle mal klar machte, dass die Glocken wirklich und wahrhaftig nie süßer klangen als diese Weihnachten: Die geballte Tücke des offenbar schlimm verstimmten Blasinstruments entlud sich in einem einzigen, schrillen und schiefen Ton und zerschnitt barsch die friedvolle Stille. Leider erkannte zu diesem Zeitpunkt niemand, dass die Flöte ganz offensichtlich fehlerhaft ihre Produktionsstätte verlassen hatte. Den grausigen Klang schrieb man stattdessen meinen mangelnden Flötenskills zu und freute sich im Kollektiv, dass es den passenden Kurs vom Christkind gleich noch oben drauf gegeben hatte. Dass ich mich zu diesem Zeitpunkt schon lang nicht mehr darüber freute, ging im allgemeinen Weihnachtswust unter. Und ich sollte Recht behalten. Das Verhältnis zu meinem Blockflötenlehrer Herrn Rath war schon bald geprägt von den Misstönen, die ich in seinen Stunden zuverlässig am laufenden Band und ohne Aussicht auf Besserung produzierte. Finanziell war das zumindest für meine Eltern ein deutliches Minusgeschäft, da war guter Rath buchstäblich teuer. Noten lesen kann ich bis heute nicht, dafür konnte ich mich aber vortrefflich auf dem Klo einschließen und mit den einzigen beiden Liedern, die ich auf der Flöte spielen kann -„O' du Fröhliche“ und „Alle Jahre wieder“ übrigens, meinen kleinen Bruder zur Weißglut bringen. Dieser hat dennoch von meiner musikalischen Früherziehung profitiert: Als er in der Grundschule als Hausaufgabe ein Lied auf der Blockflöte spielen sollte, lud er sich einen Freund ein und malträtierte mit diesem gemeinschaftlich mein immernoch verstimmtes Instrument (der Irrglaube, es läge lediglich an meinem nichtvorhandenen Talent hielt sich über Jahre hartnäckig) exakt so lange, bis meine Mutter an den Rande eines Nervenzusammenbruchs und darüber so in Rage geriet, dass sie den beiden kurzerhand die Instrumente wegnahm und sie nach draußen zum Spielen verbannte. Dass die Hausaufgabe nur aufgrund mangelnder Kooperationsbereitschaft unserer Erziehungsberechtigten nicht erledigt werden konnte – geschenkt. Und nur der Auftakt einer Reihe äußerst kreativer Wege, sich ungeliebter Schulaufgaben zu entedigen, die hernach noch für einigen Wirbel sorgen sollten. Es stimmt eben doch: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.

Kategorien: Kaleidoskop

© 2024 Kind + Kegel WORTGEWAND GmbH