Kaleidoskop

Diagnose Down-Syndrom

Susanne Heuer · 23.10.2017

Als sie die Diagnose Trisomie 21 während der Schwangerschaftsvorsorge erhielten, waren Susanne und ihr Mann zunächst geschockt. Ihre vier älteren Kinder waren kerngesund. Jetzt haderten sie mit ihrem Schicksal und stellten sich die Frage nach dem Warum. Doch schnell stand fest, dass sie das Kind bekommen wollten. Damit gehören sie zu einer Minderheit, denn neun von zehn Ungeborenen mit dieser Diagnose werden in Deutschland abgetrieben. Heute ist der kleine Fridolin zwei Jahre alt, ein fröhliches Kleinkind und aus dem Leben seiner Eltern und Geschwister nicht mehr wegzudenken. Susanne erzählt Kind+Kegel ihre besondere Geschichte.

Wunschkind – paß gut auf mich auf

Die Nachricht vom Zusatzchromosom unseres Ungeborenen schob uns auf ein Parallelgleis. Unser bisheriges Leben war in Sichtweite und doch unerreichbar geworden. Oder doch? Das Gefühlewühlen mündete in der Erkenntnis, unser Kind nicht hergeben zu können, und ab da kehrte die Freude auf unser spezialausgestattes Baby zurück.

Ein Darmverschluss bedingte Fridolins Trennung von mir und seine Operation unmittelbar nach der Geburt. Er durfte keine Muttermilch trinken, sondern musste per Sonde daran gewöhnt werden. Die umsorgende Unterstützung durch Hebammen, Krankenschwestern und Ärzte bot mir viel Halt. Fridolin meisterte alles großartig, tapfer und entzückte. Trotzdem war es hart, und mein Kind nicht dauerhaft bei mir zu haben, das Schlimmste. Überraschenden Trost brachte damals der eingenähte Spruch einer ihm geschenkten Jacke: "Wunschkind, paß gut auf mich auf." Und das tat ich. Mit zwei Monaten begann Fridolin an der Brust zu trinken, unser Fahrschein in einen normaleren Alltag, der sich gar nicht so sehr von unserem früheren unterscheiden sollte – lediglich mehr Kinder, mehr Chaos, mehr Lachen.

War ich unmittelbar nach der Diagnose Down-Syndrom (DS) überzeugt gewesen, mein Leben sei vorbei, erkannte ich nun, mich nicht heftiger geirrt haben zu können. Fridolin ist das Leben pur, und mit ihm zu sein, ohne sich von seinem Lebenshunger und Charme, seiner Neugier und Liebe anstecken zu lassen, tatsächlich unmöglich. Sein großer Bruder regte an, ihn Menschen besuchen zu lassen, welche nicht mehr lächeln können, er brächte einfach jeden zum Schmelzen.

Überhaupt war und sind Fridolin und sein Extrachromosom für seine vier Geschwister keinerlei Problem. Von Geburt an wird er von allen hundertprozentig angenommen, geliebt und bewacht. Und letzteres ist nötig, denn der lebenshungrige Entdecker ist motorisch alles andere als unterentwickelt und verflixt schnell unterwegs sowie einfallsreich beim Chaosstiften – wobei er seinen Geschwistern in nichts nach steht. Zwar lernt Fridolin alles etwas später und langsamer, dies ist jedoch nicht weiter schlimm. Wir stellen uns darauf ein, so wie wir bisher mit jedem Kind, seinem Tempo und Charakter mitgewachsen sind. In unserer optimierungswütigen Gesellschaft empfinde ich diese Entschleunigung sogar entspannend. Weniger wird von ihm erwartet, deutlich mehr erreicht er, und jeder Fortschritt hat etwas Magisches, da er nicht selbtsverständlich war. Dennoch stehen bestimmte, auf ihn zugeschnittene Fördermaßnahmen wie Frühförderung, Physiotherapie, gebärdenunterstützte Kommunikation und zukünftig auch Logopädie auf dem Programm, die ihm und uns helfen, besser mit seiner Beeinträchtigung umzugehen.

Reagierten Familie als auch Freunde anfangs noch bestürzt, wenn auch wohlwollend, so ist das DS inzwischen gleichwertig zu Themen wie weiterführenden Schulen, Linkshändigkeit, Zahnspange etc. aller Kinder. Offene Ablehnung erfuhren wir nicht. Im Gegenteil: Nachbarn, Freunde, Lehrer und zufällige Begnungen zeigen häufig ehrliches Interesse. Ab und an schaut jemand intensiver oder irritiert, womit ich zunehmend gelassener umgehe. Belehrende Bemerkungen, die Bedenken verstecken, kommen vor. So halten sich hartnäckig Vorurteile, alle Downies seien Sonnenscheine, trotzig und bockig, anhänglich und musikalisch, als hätten sie austauschbare Persönlichkeiten. Aussprüche "wie gut wir mit unserem Schicksals umgingen" ärgern mich, denn Fridolin ist für uns nichts Negatives! Ist es anstrengend? Bisweilen ernüchternd? Machen wir uns Sorgen um seine Zukunft? Ja, ja, ja. Jedoch gilt dies für alle unsere Kinder.

Kein DS würde vieles erleichtern, Fridolin wäre aber nicht mehr Fridolin. Er paßt genau zu uns. Fridolin wird die Welt erobern, auf seine Art. Irgendwie wird schon alles und wenn nicht, helfen wir nach, und zwar immer hübsch eine Katastrophe nach der anderen.

 

 

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